Springe zum Inhalt

Monat: November 2011

Sind Motorräder passé?

New York Times – 5.November 2011 – Frederick Seidel, Motorradjournalist und Motorradpoet, fragt sich Folgendes (freestyle übersetzt):

Sind Motorräder irgendwie vorbei? Junge Männer ersetzen mehr und mehr ihre Lust aufs Motorradfahren mit der Begierde auf andere Objekte. Waren im letzten Jahrtausend Superbikes ihre geliebten Begleiterinnen, werden diese nun mit gänzlich anderen zeitgenössischen Show-Off-Produkten getauscht. Vornämlich Elektronische – vor allem von Apple produziert.

iPhone 4S, i Pad 2, x-inch, das leichte, matt glänzende Macbook Air – es sind diese geschmeidig schönen Will-Haben-Apparaturen, denen die Jungs dieser Tage nachhetzen, sie besitzen müssen und bereits besitzen – millionenfach.

Diese Gadgets sind bekannt für die grazile Erhabenheit ihres Designs und sind vor allem um vieles billiger zu haben als Motorräder. Gleich lockt die Operationsgeschwindigkeit – Speed und Performance – ihre Begeisterung.

Selbstverständlich sind es nicht nur die „Jungen“, die Apple Produkte kaufen. Aber das Augenmerk auf die Verkaufszahlen: Es sind die jungen Männer, die eben Motorräder kaufen würden. Aber sie tun es nicht. Zumindest nicht in den Mengen wie vor „der Krise“ (im Merkelschen Sinne). Die Rezession war ein Disaster für Motorradhändler, aber besonders für Verkäufer von Supersportlern – Motorrädern, die vor Power, Performance und Design nur so strotzen, aber keinen praktischen Nutzen haben. Sportbikes sind keine Motorräder auf denen man Reisen unternimmt. Sie sind nicht bequem zu fahren, schon gar nicht für die Begleiter – Ehefrau, Partner oder Freund. Geschweige denn, um in die Arbeit oder dem entlegenen Zeltplatz zu düsen. Man könnte es tun, aber es wäre eine Qual. Junge Fahrer kaufen heutzutage weniger Motorräder. Und wie es aussieht: besonders keine Supersportler.

Es wäre als hätte „die Krise“ einen komatösen Stillstand unter den potentiell neuen Motorradkäufern herbeigeführt – übrigends genauso wie in vielen bereits erfahrenen Bikern. Nachdem sie aus der Rezession erwachten, fanden sich alle wieder in einer Menschenschlange vor einem Apple-Store, um geduldig auf die neueste Erscheinung zu warten.

Sie kaufen Style. Sie kaufen Funktion. Und umso wichtiger, sie kaufen Glamour. Diese Geräte erhöhen das Selbst des Käufers. Sie helfen den Kosumenten zu denken und im selben Moment nicht zu denken. Nicht vor allzu langer Zeit war das die Aufgabe von Motorrädern.

Vor einigen Tagen wurde auf der Internationalen Motorradshow in Mailand von Ducati ein radikal neues Sportbike vorgestellt – die Panigale, benannt nach Borgo Panigale, dem Viertel am Stadtrand von Bologna, wo Ducatis Fabrikshallen siedeln. Lange war es ein Geheimnis, wie die neue Panigale aussehen wird und vor allem wie ihre Performance wäre. Es gab Spionage-Erlkönig-Schnappschüsse aus Mugello mit dem früheren Superbike Champion Troy Bayliss, und viele Gerüchte und Spekulationen über die technischen Details. Apple-Rumors sozusagen – Gabriele del Torchio als wiederauferstandener Steve Jobs.

Wir wissen nur eins. Die Panigale wird tapfere Herzen schneller schlagen lassen. Sie wiegt weniger als ihre Vorgängerin. Sie hat einen neuen Rahmen. Ein geniales Auspuffsystem. Sie ist schnell. Sie ist schön. Sie hat Glamour. Wie viele Ducati Gefolgsmänner werden sie besitzen wollen? Nur einige wenige.

Es war nicht lange Zeit her, als Bubenherzen vor einem neuen Ducatidesign in die Knie gingen. Heute bleiben junge Männer lieber zuhause, um mit Ihrem neuen iPad zu spielen, statt auf dem roten Blitz eines 1198 Superbikes mit seinem unverkennbaren tiefen Ducatisound die Landstrasse entlang zu knurren.

risk’n’ride, Dieter (Apple-User und Motorradfahrer)

Originalartikel (natürlich in englisch):
Is the Era of the Motorcycle over? by Frederick Seidel auf NYtimes.com

Grosse Welle – Grosse Worte

Mein Artikel „Der Tod und das Motorrad“ hat hier im Netz für viel Zündstoff gesorgt. Noch immer nicht alle Missverständnisse aus der Welt geschafft, kommt mir nun der Big Wave-Surfer Garrett McNamara etwas zu Hilfe. Nach dem Video von seinem unglaublichen Weltrekord, ein kurzer Interviewausschnitt von Spiegelonline.de:

SPIEGEL ONLINE: Big-Wave-Surfen ist sehr gefährlich. Was wäre passiert, wenn Sie gestürzt wären?

McNamara: Dann geht man auf den Unterwasser-Ritt. Wenn man große Wellen surft, ist ein Adrenalin-Rausch beinahe garantiert. Für mich ist es mittlerweile schwierig, diesen Rausch zu bekommen. Vielleicht, wenn ich gefallen wäre.

Unmissverständlich beschreibt McNamara, dass er wohl einen Sturz „benötige“ – was das beim Big Wave Surfen bedeutet, kann man sich denken – um „diesen Rausch“ beim Surfen zu erleben. Das ähnelt ein wenig dem provokanten Ansatz von Extrembergsteiger Oswald Oelz „Der Tod macht das Bergsteigen interessant„.

Natürlich reitet kein Surfer eine Welle, besteigt kein Bergsteiger einen 8000er und fährt niemand Motorrad UM zu sterben. Das wäre Selbstmord. Der Rausch des Risikos benötigt allerdings die Möglichkeit des Unfalls, im schlimmsten Fall, des Todes. Auch wenn es manche nicht lesen wollen.

Weiterhin, risk’n’ride, Dieter

Risk-Buddy Konferenz

Nach den teilweise sehr heftigen Diskussionen in mehreren Foren bezüglich meiner beiden Artikel: „Wie gefährlich ist Motorradfahren Teil II“ bzw. „Der Tod und das Motorrad“ habe ich mich bemüssigt gefühlt wieder einmal eine Risikokonferenz einzuberufen. Ich wollte sehen, welche Meinung meine Riskbuddies zu diesen Themen haben. Hier der „Streit“:

(Wer das nicht lesen kann, sollte auch nicht Motorradfahren ;-))

Wie immer finden die 4 keinen Konsens. Darum hab ich mir mal die Mühe gemacht und alle bisherigen Postings in den Foren gelesen, um zu sehen, wen von den 4 Riskbuddies wir Motorradfahrer zum Wagnis-Häuptling küren würden. Hier das Ergebnis (% Zahlen sind von mir geschätze Häufigkeiten aller Postings nach Zuordnung zur jeweiligen Risikostrategie – Stichprobe ca. 300 Forenantworten):

Ungültig wäre z.B. „So einen Scheiss lese ich sowieso nicht“ oder sonstige Meinungen, die bei aller Anstrengung schwer zuordenbar blieben.

Jetzt stellt sich für mich die Frage: Sind tatsächlich 60% aller Motorradfahrer Oscars oder sind es nur 60% aller Motorradfahrer, die sich – wie ich – Zeit für Forenbesuche und Foreneinträge nehmen.

Nur ein bisschen klüger,

risk’n’ride, Dieter

Der Tod und das Motorrad

Allerheiligen, Allerseelen – nur mehr die Kreuze am Bankett erinnern mich an die Tage, an denen wir uns mehr als im übrigem Jahr mit dem Ableben beschäftigen. Mir bleibt ein Artikel von Thomas Neuhold vom 30.10.2011 aus „Der Standard“ in Erinnerung:

„Der Tod macht das Bergsteigen interessant“

Soll man Bergsteiger vor allzu viel Risiko schützen, oder ist die Möglichkeit, tödlich zu verunglücken, eine der letzten Freiheiten?

 

Wie sieht es bei mir als Motorradfahrer aus?

Ist für mich „das Motorradfahren deswegen interessant, weil ich zu Tode kommen kann„, wie es der Spitzenalpinist Oswald Oelz für das Bergsteigen postuliert? Die einzig sichere Methode beim Motorradfahren nicht zu sterben, sei nicht zu fahren. Vom Höhenbergsteigen auf das Motorradfahren umgelegt „wollen wir doch die Freiheit haben, uns umzubringen, wie es uns passt„.

In dem Artikel lässt Thomas Neuhold auch Silke Perathoner zu Wort kommen. Ihr Lebensgefährte kam 2008 am Nanga Parbat im Alter von 37 Jahren ums Leben. Als Mutter von drei Kindern plädiert sie trotz ihres Verlusts „den Berg als Freiraum zu belassen“ und das Bergsteigen nicht mit zu vielen Regeln zu belegen. Inwieweit darf das Motorradfahren „zerregelt“ werden? Wieviel Freiraum darf die Strasse bieten? Silke Perathoner hat jedenfalls „nie bereut, ihn ziehen zu lassen„.

Zuletzt stellt sich der Alpinjournalist Horst Höfler die Frage, wie die Hinterbliebenen mit dem Tod eines Nahen Verwandten oder Freundes, in Ausübung seiner liebsten Beschäftigung, umgehen? Er beschreibt die aktiven Alpinisten – und meint implizit wahrscheinlich alle Wagnissuchende – als Süchtige und Junkies, die sich vom Tod eines Kameraden nicht abhalten lassen, ihr Hobby weiterhin auszuüben. Im Gegenteil: „Gerade bei Begräbnissen nach Bergunfällen sei immer wieder zu beobachten, dass sich die Alpinisten unter den Trauergästen neue Touren ausmachten.

Für die hinterbliebenen Angehörigen gäbe es zweifach Tröstendes:

  • Der Bergtod sei meist ein „Gnädigerer Tod als jahrelanges Siechtum im Krankenbett
  • Die Verwandten und Freunde wüssten, der Tote sei bei dem umgekommen, „was er am liebsten gemacht hat

Ich behaupte nicht, dass man diesen Artikel 1:1 auf das Motorradfahren umlegen kann. Er gibt mir jedoch zu denken, ob ich als Motorradfahrer anders über mein mögliches Ableben empfinde, als ein durchschnittlicher Spaziergänger. Macht für mich die Möglichkeit des plötzlichen Tod das Motorradfahren erst so richtig interessant? Der Tod und das Motorrad – ein Bündnis der Glückseeligkeit? Nach Marco Simoncellis Tod im MotoGP vor 2 Wochen hielten sich Beileidsbekundungen und Klicks auf das Unfallvideo so ziemlich die Waage.

Ein Ge- und Nachdenkender,

risk’n’ride, Dieter

Hier der link zum Original auf der standard.at „Der Tod macht das Bergsteigen interessant“