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Monat: Dezember 2011

„Tanz Deine Träume“ – Blicktechniken 2012

Dem erfahrenen Motorradfahrer ist es in Fleisch und Blut gebrannt: Das genügend weite Vorausschauen. Irgendwo zwischen Tachonadel und Horizont sollte der Fokus liegen, manchmal sogar darüber hinaus. Heute, da der Blick auf 2012 noch knapp an der Nasenspitze klebt, werfe ich ein Auge auf Techniken des Vorausschauens.

Konzeptionell scheint uns Menschen der Speed beim Motorradfahren zu überfordern. Wahrnehmungstechnisch reihen wir Blackout an Blackout und schwingen von Kurve zu Kurve wie ein trunkener Tarzan. Der Blick immer am Ort wo in wenigen Momenten meine Hand die Liane ergreifen wird und sich der Reifen mit dem Asphalt vergript.

Erschwerend dabei ist, dass der Weitblick mehr und mehr schwindet je risikoreicher mir eine Situation erscheint. In der Angst ist uns das Leder näher als der Bock. Der Blick fällt in den Keller und brennt sich in das Grau knapp vor das Vorderrad. Jetzt heissts, besonders für Neulinge, „Reeelaaax!“. Merkspruch: „Je Hängematte, desto Horizont“. In der Entspannung schalten unsere Neuronen auf Weitblick. Schon Einstein empfing seine Quantentheorie im Spaziergang und nicht im verkrampften Denken.

Auch dem erfahrensten Motorradfahrer flutscht der Fokus manchmal zu nahe an das Windschild. Hier helfen Vorsätze wie: „Weit Vorausschauen“, „Beim Bremsen Blick oben lassen“, „In die Kurve hineinschauen“, „Hinter die Kurve schauen“. Keine Parolen, die man mantramässig repetieren müsste, sondern Gedächtnisstützen, die als Klebe-Memos auf Tank oder Tacho vor allem Neu- und Wiedereinsteigern unschätzbare Dienste leisten. Dazu einfach Bernt Spiegels „Motorradtraining alle Tage“ aufschlagen, vorgefertigtes Memo-Label abziehen und rauf damit, am besten dorthin, wo es Dich beim Brettern am ehesten auf die Schulter klopft.

Aus Bernt Spiegels Trainingsbuch stammt auch das Zitat der Rennsau Hermann Maier: „Wo i hiischau, do bi i aa scho sellba!“ – Hochdeutsch: „Wohin ich meine Aufmerksamkeit richte, folgt mein ganzes Sein!“

Gut so, aber wohin mit meiner Aufmerksamkeit?
Hier ein paar Motorradfahrertipps fürs Leben 2012:

„Weit Vorausschauen“: Konzeptionell scheint uns Menschen auch der Speed unserer Informationsgesellschaft zu überfordern. Es ist nicht einfach zwischen Smartphone, Email, Facebook und den altbackenen täglichen Besorgungen, das Visier oben zuhalten und den Blick auf das Wesentliche zu richten.

Tipp: „Stell Dein Fadenkreuz weit genug voraus!“

„Beim Bremsen Blick oben lassen“: Gerade in unserer angstbesetzten Zeit, Stichworte: Finanzkrise, Weltuntergang 2012, Klimawandel etc. fällt unser Blick oft zu knapp vors Vorderrad, während wir nahe am Schlupf die Bremse quälen. Sicherheit, Tradition und Führung wird uns wichtiger als Wagnis, Freiheit und Träume.

Tipp: „Stell Dein Visier auf Horizont, nur dort tanzen Deine Träume!“

„In die Kurve hineinschauen“: Was ist Dein Ziel für 2012? Wohin willst Du? Was möchtest Du erreichen? Je genauer Du Deinen Referenzpunkt auf Deiner Piste festlegst, umso eher wirst Du ihn „erfahren“.

Tipp: „Richte Deine Aufmerksamkeit dorthin, wo Du 2012 sein möchtest!“

„Hinter die Kurve schauen“: Manchmal sind die Wirren eines Motorradfahrerlebens so verschnörkelt, dass der weitest mögliche Blick schon zu kurz erscheint. Hier hilft uns die Imagination, Intuition, Vision. Nach 2012 kommt 2013 usw. Auch wenn jetzt der Bauch des Sparschweins nur für einen Roller reicht, die Panigale ist in Reichweite.

Tipp: „Erahne, was noch nicht ist!“

Ich wünsch Dir, dass Du 2012 Schönes siehst und vergiß nie: „Nur in der Wagnis erblüht das Leben“,

risk’n’ride, Dieter

Kein Dopamin, kein Sinn

Irgendwann im November, ich auf Amazon.de, „Zonko auf Monden“ im Warenkorb, drücke ich den Button „Bestellbestätigung“ – ein Gefühl der Entspannung macht sich breit. Fabelhaft. Gleich nocheinmal: „Evel Knievel – Ein Leben am Limit“ – Zooom – gekauft! Feeling: erstklassig! Da schnapp ich mir auch noch schnell eine Steppenwolf-CD, eine Mumin-Tasse für meine Frau und den PLAYMOBIL Supersportler für meine Tochter. Ich bin ja kein Egoist.

Kurzer Ausflug in den Duden (online – nicht gekauft!):

Holy Shit. Kaufrausch. Ich? Nee, das kenn ich doch nur von Frauen, steht ja schon im Namen drin. Geschwindigkeitrausch? JA!:

Irgendwann im August, ich im Weissenbachtal, Bike unter mir, drehe ich den Gashahn, 7000 U/min – ein Gefühl der Spannung macht sich breit. Fabelhaft. Gleich nocheinmal. „Karacho“ – Zooom – geschafft! Feeling: erstklassig! Da schnapp ich mir auch gleich die nächste Gerade, und die nächste, und die …

Ich glaub ich brauch eine Drogentherapie. Süchtig nach Kick? Eigenblut vollgepumpt mit Endorphinen? Schnell mal googlen – oh verdammt, „Internet“ das nächste Gift – ich tippe: „SUCHT“ – surfe die Netzwelle mit der Erkenntnis:

„Relax, Chill, bleib cool. Solange Du das ganze noch kontrollieren kannst, dabei keine Schuldgefühle hast, es Dich nicht drängt, das Ganze ständig zu wiederholen und Du Dir über die Gefahren darüber bewusst bist, take it easy.“

Aber:
Kontrollverlust? Na sicher.
Schuldgefühle? Irgendwie schon.
Wiederholungszwang? Sowieso.
Verdrängung? Ha, was soll ich bitte schön verdängen?

Break: Ich entscheide mit für Substanzentzug. Kalter Truthahn statt Kalte Kuchl: kein Shopping (trotz Weihnachten), kein Internet (naja, 30 min pro Tag ist kein Kontrollverlust) und vom Motorradfahren kann man im Advent soundso nur Träumen. Mein innerer Arzt verschreibt mit eine Packung Abstinenz = Punschstandl meiden, Amazon.de-Verbot, portionierter Internetzugang inklusive facebook- und youtube-Stop.

Ergebnis: 0,0 Promille Tag und Nacht. 100% Nüchternheit. Ich denk mir, jeder bekommt was er verdient. Aber irgendetwas fehlt mir. Alkohol? Nee. Einkaufen? Auch nicht. Facetube? Ebenfalls, njet. Na was dann? Körperdrogen! – Mein Blut ist leer, es fehlt das Dopamin und auch der Sinn.

Ich korrigiere den Duden:

Dann korrigieren ich mich: Seit gestern steh ich voll im Rauschtraining, heut schon ein Buch bestellt, mit Freunden zwei Vierterln Chianti genossen und in fiebriger Erwartung auf das Frühjahr, um mit meinen neuen Rauschskills durchs Weissenbachtal zu donnern.

Von irgendwo zwischen Abstinenz und Vollsuff,
risk’n’ride,
Dieter

„Zonko auf Monden“ – Eine Riskzension

Drei Wochen vor dem Heiland schneit mir “Zonko auf Monden” ins Haus. Fritz Triendl alias Zonko (oder umgekehrt), seinerseits Chefredakteur der Zeitschrift „Der Reitwagen“, schrieb eines der größten Motorradabenteuer der Literaturgeschichte, das ich in weniger als 0,002 Lichtjahren genüsslich verschlang. Zonkos Odyssee 2010.

Zonko und sein Piepmatz Luna Loop – gefiederter Verstand und vorwiegend auf Großhirndenken gepolter, reizender Wellensittich – steuern auf seiner zweizylindrigen „Königin der Strasse“ mit 182km/h ins Universum, um 384.467 Kilometer später auf Monden zu landen. Eine kleine Ewigkeit für jeden von uns, für Zonko und Luna jedoch ein kurzer Quantenloop.

Um auf den Highway der Glückseligkeit zu gelangen muss Zonko mit seinem „weissen Büffel“, das Gas voll am Anschlag, über eine 30 Meter Rampe der Euphorie und des Grauens donnern. An der A2, Richtung Graz, gelegen, verspricht dieses Wagnis wahrlichen Ordalcharakter.  Zonko wandelt hier auf den Spuren des neunzehnjährigen Graham Greenes, der – ob seiner tiefen Einsamkeit und Sehnsucht nach Lebenslust – sich russisch sechs mal den Revolver an die Schläfe setzte, um Gott das Roulette des Lebens entscheiden zu lassen. Das Pokern mit dem Tode gab ihm das Leben zurück. Auch Zonko ist die Freude am Leben auf Erden irgendwie entglitten, nicht wegen tiefer Einsamkeit. Nein Zonko verlässt die Freude, da zum einen die gesetzgebenden Menschen die Welt krank reglementieren und ihm zum anderen die moderne Informationstechnologie einen unfassbar dichten Informationsschwall beschert, der seinen Wunsch nach einer dunklen Ecke nährt.

Man hat jedoch den Eindruck, dass Zonko weniger durch innere Leere, als von innerer Fülle angetrieben wird. Sie ist die entscheidende Kraft, die ihn als Grenzgänger und Wagnissuchender drängt, sein bequem abgesichertes Dasein, gespickt mit Fernseher und Vanillekipferl, zu verlassen, um dem risikoreichen Weg der eigenen Berufung zu folgen. Viel mehr eine Flucht zu etwas hin, als ein Flüchten von etwas weg. Seine dunkle Ecke, sein „Etwas“ findet Zonko auf Monden in einer anfangs spartanisch, kargen Umgebung, in der sich Sinn, Flow oder Glück leichter einzustellen vermag als in Luxus und Überfluss. Sozusagen eine Flucht Into the Wild oder genauer Into the Child, da sich die mondartige Landschaft, vom Sandschleier freigesaugt, als kindheitsgeprägte Tiroler Almenerinnerung präsentiert.

Ähnlich wie Alexander Supertramp die Erkenntnis schwant: „Happiness is only real when shared“ findet Zonko das Glück in unterschiedlichsten Begegnungen auf Monden. Seine Rendezvous mit dem Mondkalb, der Mondfee, dem Krempelritter oder Franz Kupalsky muten an wie die Prüfungen des Odysseus, die Zonko zum Helden formen und seiner Sinnsuche Anstrich verleihen. Nach seiner größten Prüfung, durch einem Sandsturm hervorgerufen, wird er am Weg in die Heimat auf Erden in ein Paralleluniversum geschleudert, welches wie Realität anmutet, und Zonko in einer Schleife zwischen zwei Welten zurücklässt.

Zonko und Fritz Triendl führen uns in eine fantastisch-realistische Welt im Spannungsfeld zwischen Risiko und Sicherheit, Wagnis und Überreglementierung, Gefühl und Verstand.  Im Abenteuer sehnt man sich manchmal eben nach Deckenluster, Wohnzimmer, Fernseher und vor allem Vanillekipferl – „Lass uns heimfahren“, wie Luna Loops sich treffend wünscht. (Umgekehrt: jedem Banker sein SUV.) Alle auf der Suche Heimat zu finden, mal in der Ferne, mal ganz nah. Zonko findet Heimat in sich selbst und kommt so zur Ruhe in seiner ganz persönlichen dunklen Ecke.

Falls jemals ein Zonkoismus aus der Erde – oder dem Mond – wachsen sollte, ich würde mich ihm verpflichtet fühlen. Denn im Wagnis erblüht das Leben, im Abenteuer die Erkenntnis.

Eins noch: Ich warte auf ein zweites Buch, in dem Zonko Schrödingers Katze bemüht und durch die Zertrümmerung des Fernsehers mit dem Schnitzelklopfer, ein Paralleluniversum eröffnet, das ich in weiter Ferne nur erahnen kann. Ich würde am Sozius Platz nehmen.

risk‘n‘read, Dieter