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Monat: Juni 2014

Ein Freischaden für den Müll

Erst gestern fliegt mir ein Umschlag in den Briefkasten. Der Inhalt ist ein Schreiben meiner KFZ-Versicherung. Aus einem lustlosem Rechtsdeutsch übersetzt steht darin geschrieben: Zahlen Sie einmalig € 24,50 und wir gewähren Ihnen einen Freischaden!“
Man muß schon einen Gewaltigen an der Waffel haben, wenn man diesen Betrag auf deren Konto überweist. Gewährten sie mir Sicherheit, ich würde noch einmal darüber schlafen. Aber Freischaden?! Ich stell mich in den Mittelkreis meines Wohnzimmers und versenke einen Freiwurf im Rachen des nächstgelegenen Papierkorbs. 1:0 für Dieter! Mann, tut das gut.

Freischaden“ – ein Kandidat für das Unwort der Menschheit. Wovon kann ich mich damit bitte frei kaufen?
Diese Versicherungspflicht überhaupt. Sie hat seit dem 19.Jahrhundert für die Industrie und Großkonzerne, später auch für alle Motorradfahrer, das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit gänzlich revolutioniert. Durch einen meist monatlichen finanziellen Ablasshandel kann jedermann Freiräume für sein Scheitern alias Freischäden erwerben. Somit kann BP die nächste Bohrinsel gelassen in der Karibik versenken und jeder Biker seelenruhig sein Ross zu Schrott fahren. Ein Freischaden ist ja ohnehin um € 24,50 gewährt. Alle sind vor- und rückversichert. Weder Konzerne noch Motorradfahrer scheuen so die finanziellen Konsequenzen ihrer Fehler.

Wie würden Großkonzerne jedoch handeln, müssten sie die Folgekosten ihrer Unfälle selbst bezahlen? Wie würden wir wohl unsere Wochenendrunde ziehen, wären wir unversichert und der Unsicherheit zumindest monetär gänzlich ausgeliefert? Würden Unfall-, Haftpflicht- und Krankenversicherung die Folgekosten nicht übernehmen, würden wir dann trotzdem Motorradfahren?
Es scheint, dass in unserer Vollkaskogesellschaft wieder mal das Kapital die Triebfeder ist. Geld flexibilisiert die Grenzen von Freiheit und Sicherheit. Einerseits ist das gut so, denn ich persönlich würde das Risiko Strassenverkehr höchstwahrscheinlich meiden, gäbe es kein Taschengeld für Asphaltausschlag. Andererseits, 100% Sicherheit kann der Bauchladen der Versicherer auch nicht bieten. Es bleibt mir also nicht anderes übrig, als meine Grenze zwischen meiner Freiheit und meiner Sicherheit immer wieder neu zu verhandeln.

Anders gesagt, ich verzichte auf den gewährten Freischaden und somit auf ein Stückchen Freiheit, um mir letztendlich ein Quäntchen mehr an Sicherheit zu behalten.

risk’n’ride,
Dieter

Gottlob! Die Zahl der verunglückten Motorradfahrer steigt wieder

Heute wäre eine Präambel nicht schlecht: Es geht hier nicht um persönliche Schicksale sondern um absolute Zahlen (Nur um den Moralisten gleich einmal den Wind aus den Segeln zu streichen). Thema: Die in den vergangenen 18 Monaten gestiegene Anzahl tödlich verunglückter Motorradfahrer und den dadurch erwachsenen Profit. Anlass: Die 7 auf österreichischem Asphalt tödlich verunglückten Motorradfahrer am Pfingstwochenende 2014. (Hochgerechnet auf Deutschlands Einwohnerzahl hätten in der Bundesrepublik 70 Biker einköpfeln müssen – es waren „nur“ 15 an der Zahl.)

Die Medien beweinen den hohen Blutzoll auf den Strassen der Alpenrepublik und es wird bereits in der Zauberkiste nach Maßnahmen contra dem Risiko gestöbert. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn sich die Unfallstatistik wieder mal gegen die Decke streckt? Mitnichten!

In den vergangenen 30-40 Jahren war es ein Leichtes mit Verkehrssicherheit Geld zu verdienen. Egal was man präventiv oder rehabilitativ auf den Markt warf, es war automatisch von Erfolg gekrönt. Jede noch so unsinnige Maßnahme surfte auf der Welle abnehmender Unfallzahlen. Dass jedoch – um nur ein Beispiel zu nennen – signifikant weniger Kinder auf der Straße sterben, hat nur teilweise mit erhöhter Verkehrssicherheit zu tun. In Wahrheit bringt der Wahnsinn auf unseren Strassen Mama und Papa dazu, die Kinder per Auto in Kindergarten und Schule zu chauffieren. Es sind einfach keine Kinder mehr auf der Strasse um sie platt zu fahren. Nichts mit „mehr Verkehrssicherheit“.

Aber wie können wir von einem MEHR an Motorradtoten profitieren? Dazu ein kleiner Exkurs über gesunde Entwicklung:In heutigen Zeiten, in denen wir auf eine männliche Entwicklungskultur der Dauererektion setzen – alles muss wachsen, alles soll noch größer, stärker, höher, effizienter, noch sicherer werden – ist ein Anstieg an Unfallzahlen schlichtweg eine Katastrophe. Aber Dauererektionen sind bekanntlich eine urologische Krankheit. Sie machen das Hirn blutleer. „Wehe unsere Wirtschaft wächst nur um 0,2%„. „Wehe es gibt wieder mehr verunglückte Motorradfahrer„. Das Scheitern ist verboten. Fehler sind nicht akzeptabel.

Kontemporäre Wissenschaft ist sich jedoch einig: mit diesem Denkmodell fährt eine Gesellschaft mit Vollgas gegen die Wand. Modernes Denken setzt diesem Dauerständer ein anderes, menschendienlicheres Entwicklungsmodell gegenüber – die Spirale. In spiralförmigen Entwicklungen sind Ruhepausen, Chillout und Langsamkeit erlaubt, ja erwünscht. Das Scheitern ist als Chance inkludiert. Zwar führt uns nicht jeder Misserfolg zwangsläufig auf das nächste Level des Menschseins. Er beinhaltet jedoch die Möglichkeit sich auf neue Ebenen zu entwickeln und zu wachsen.

Eine Gesellschaft muß den Mut haben zu scheiternd. Nur dann werden wir geSCHEITER. Deshalb freut mich, dass in letzter Zeit wieder mehr Motorradfahrer das Zeitliche segnen. Nur in Phasen der Krise und des Misserfolgs werden Maßnahmen reflektiert und hinterfragt. Im Erfolg ändern wir meist gar nichts oder „never change a winning team„. Jetzt wäre es an der Zeit diverse Verkehrssicherheitspakete  aufschnüren und alle darin enthaltenen Maßnahmen auf den Tisch zu legen. Und vor allem braucht es Courage und Mut, Verstaubtes und Unnützes in den Müll zu entsorgen, um eine neue Sicherheit für uns Motorradfahrer entstehen zu lassen.

Daher hat es auch etwas Gutes, wenn die Zahl der getöteten Motorradfahrer wieder anzieht. Es wurde langsam Zeit.

risk’n’ride
Dieter

Angst! Aber was jetzt bitte?

 

Angst beim Motorradfahren ist gar nicht gut. Keine Angst auch nicht besser.
Das sagen gesetzmäßig Herr Yerkes und Herr Dodson.

Ich sag:
Jetzt einigt Euch doch endlich, liebe Bergsportler und Polizistinnen.


risk’n’ride,
Dieter